Über 46.000 Hafttage im Jahr 2021 vermieden
Drei Programme zur Abwendung von Ersatzfreiheitsstrafen / Havliza: „Wichtig ist, dass wir Angebote machen“
Wer in Niedersachsen von einem Strafgericht verurteilt wird, erhält in der Regel eine Geldstrafe. Von den rund 66.500 Verurteilten im Jahr 2020 erhielten 79 Prozent der Betroffenen eine Geldstrafe, nur rund 14 Prozent eine Freiheitsstrafe. Wird eine Geldstrafe nicht bezahlt, droht jedoch eine sog. Ersatzfreiheitsstrafe. Die Ersatzfreiheitsstrafe hat den Sinn, dass die Geldstrafe als staatliche Sanktion auf ein begangenes Unrecht nicht ins Leere läuft.
Zugleich sind Ersatzfreiheitsstrafen unerwünscht, weil die Betroffenen ausdrücklich nicht zu einer Freiheitsstrafe, sondern zu einer Geldstrafe verurteilt worden sind. Zudem entstehen für das Land Niedersachsen Aufwand und Kosten; im Jahr 2020 lag der Kostensatz für einen Hafttag bei 182,79 Euro.
Justizministerin Havliza: „Ersatzfreiheitsstrafen sind unerwünscht, daran gibt es keinen Zweifel. Aber seit ich in der Justiz tätig bin, ist noch niemandem ein besserer Weg eingefallen, wie man dafür sorgen kann, dass Geldstrafen ernst genommen und bezahlt werden. Wichtig ist, dass wir den zahlungsunfähigen Verurteilten Angebote machen, um die Vollstreckung einer Ersatzfreiheitsstrafe zu verhindern.“
Niedersachsen bietet deshalb drei Programme an, um den Vollzug einer Ersatzfreiheitsstrafe abzuwenden. Diese Programme haben im Jahr 2021 mindestens 46.806 Hafttage abwenden können.
1.
Am erfolgreichsten ist das Programm „Geldverwaltung statt Vollstreckung von Ersatzfreiheitsstrafe“.
Im Jahr 2021 wurden von den Anlaufstellen für Straffälligenhilfe insgesamt 2.337 Fälle betreut. Die Summe der an die Staatsanwaltschaften überwiesenen "uneinbringlichen" Geldstrafen betrug 630.014 Euro. Insgesamt 32.667 Hafttage von Ersatzfreiheitsstrafen konnten auf diesem Wege vermieden werden.
Bei der „Geldverwaltung“ wird mit den Betroffenen - welche im Umgang mit behördlichen Schreiben oftmals überfordert sind - die finanzielle Situation strukturiert, um eine Begleichung der Geldstrafe zu ermöglichen: Welche Ein- und Ausgaben gibt es? Was ist eine nachhaltig tragbare Ratenhöhe? Welches ist eine realistische Ratenhöhe für die Vollstreckungsbehörde? Hierfür wird für den Verurteilten ein Verwahrgeldkonto eingerichtet; zur Gewährleistung einer erfolgreichen Ratenzahlung tritt der Betroffene seine Einkünfte, in der Regel die Ansprüche auf Sozialleistungen gegenüber einem Sozialleistungsträger, ab. In vielen Fällen kann die Vollstreckung von Ersatzfreiheitsstrafen auf diese Weise vermieden werden.
Havliza: „Mein Dank gilt insbesondere den Anlaufstellen für Straffälligenhilfe für ihren unermüdlichen Einsatz. Lediglich knapp zwei Prozent der Geldverwaltungsfälle münden nicht in eine Zahlung. Das ist ein sehr guter Wert und zeigt, dass die Unterstützung für die Betroffenen oftmals sehr wertvoll ist.“
2.
Zudem gibt es in Niedersachsen das Programm „Schwitzen statt sitzen“. Hier kann die Vollstreckung einer Ersatzfreiheitsstrafe durch einen Arbeitseinsatz abgewendet werden, zum Beispiel in kirchlichen Einrichtungen, Krankenhäusern, Altenheimen, bei freien Wohlfahrtsverbänden oder Naturschutzorganisationen.
Insgesamt 490 Personen konnten im Jahr 2021 die Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe ganz oder teilweise durch unentgeltliche gemeinnützige Tätigkeit abwenden. 14.139 Hafttage konnten auf diesem Weg vermieden werden.
3.
Seit Sommer 2020 binden die Staatsanwaltschaften zudem die Gerichtshilfe des Ambulanten Justizsozialdienstes in die Geldstrafenvollstreckung ein. Hierbei sollen sozialarbeiterische Aspekte in dem sonst juristisch geprägten Prozess der Geldstrafenvollstreckung berücksichtigt werden. Den verurteilten Personen wird in diesem Verfahren von einer Justizsozialarbeiterin oder einem Justizsozialarbeiter verdeutlicht, dass die Vollstreckung einer Ersatzfreiheitsstrafe unmittelbar bevorsteht - und es soll gemeinsam nach einer Lösung gesucht werden. Hierdurch sollen insbesondere die Menschen erreicht werden, die mit der Situation völlig überfordert sind und den Überblick komplett verloren haben.
Zahlen hierzu werden im Sommer 2022 nach einer ersten Evaluation vorliegen.
Die Frühjahrskonferenz der Justizministerinnen und -minister hat zudem im Juni 2019 einstimmig die damalige Bundesministerin der Justiz und für Verbraucherschutz aufgefordert, einen bundesgesetzlichen Änderungsbedarf unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Arbeitsgruppe zu prüfen. Eine Rückmeldung aus Berlin steht noch aus.
Artikel-Informationen
erstellt am:
27.05.2022
Ansprechpartner/in:
Herr Christian Lauenstein
Nds. Justizministerium
Pressesprecher
Am Waterlooplatz 1
30169 Hannover
Tel: 0511 / 120-5044