Strafjustiz nicht noch mehr überlasten! – Justizministerin Dr. Kathrin Wahlmann: „Geplante Amnestie für Verurteilte muss aus dem Cannabisgesetz raus. Hilfsweise darf das Gesetz erst sechs Monate nach Verkündung in Kraft treten.“
Mit einem nochmaligen Appell, die durch steigende Eingangszahlen ohnehin bereits am Limit arbeitende Strafjustiz nicht ohne Not noch stärker zu belasten, richtet sich Niedersachsens Justizministerin Dr. Kathrin Wahlmann erneut an die Akteurinnen und Akteure der Ampelkoalition auf Bundesebene.
„Trotz meiner grundsätzlichen Kritik am Cannabisgesetz, die ich aufrechterhalte, nehme ich zur Kenntnis, dass die regierungstragenden Fraktionen das Gesetz offenbar in den nächsten Tagen beschließen werden. Das ist ein demokratischer Prozess, der zu akzeptieren ist. Unabhängig davon appelliere ich aber dringend an die Ampelkoalition, die geplante sofortige Amnestie für Verurteilte aus dem Cannabisgesetz zu streichen. Sollte sie dazu nicht bereit sein, fordere ich sie im Sinne der Funktionsfähigkeit der Strafjustiz auf, das Gesetz insoweit frühestens sechs Monate nach der Verkündung in Kraft treten zu lassen.“
Nach dem derzeitigen Gesetzentwurf soll die Straffreiheit für den Besitz von bis zu 25 Gramm Cannabis oder den Anbau von bis zu drei Pflanzen nicht nur zukünftig, sondern auch rückwirkend gelten. Das bedeutet, dass alle rechtskräftigen Verurteilungen, die sich aktuell noch in der Vollstreckung befinden, nicht weiter vollstreckt werden dürfen. Da das Gesetz zudem keine Übergangsregelung vorsieht, gilt dieser rückwirkende Straferlass ab dem Tag des Inkrafttretens des Gesetzes.
Für die Staatsanwaltschaften hätte dies zur Folge, dass sämtliche Akten, in denen eine Person wegen Verstoßes gegen das BtMG verurteilt worden ist, manuell daraufhin ausgewertet werden müssten, ob der der Verurteilung zugrundeliegende Sachverhalt nach der neuen Gesetzeslage straffrei wäre. Es müsste also nachvollzogen werden, ob ein Betäubungsmittelverstoß wegen Cannabis vorlag und um welche Menge es sich gehandelt hat. Diese Feststellungen lassen sich auch nicht aus dem Bundeszentralregisterauszug herauslesen, da dort in der Regel nicht die genaue Tathandlung (und dementsprechend auch nicht die Art des Betäubungsmittels), sondern lediglich ein Verstoß gegen das BtMG notiert ist.
Auch die Gerichte würden sich einer enormen Mehrbelastung ausgesetzt sehen. Wenn ein Angeklagter z.B. zu einer Gesamtstrafe verurteilt wurde, in die ein BtM-Verstoß einbezogen wurde, der nach neuem Recht nicht mehr sanktionierbar ist, müssten diese Gesamtstrafenbeschlüsse aufgehoben und neu gefasst werden.
Dr. Wahlmann: „Allein in Niedersachsen rechnen wir mit über 16.000 Akten, die händisch durch unsere ohnehin bereits überlasteten Beschäftigten ausgewertet müssen – bundesweit handelt es sich um ein Vielfaches. Darin sind die aufzulösenden Gesamtstrafenbeschlüsse und die Verfahren bzgl. der ad hoc und ohne weitere Vorbereitung aus der Haft zu entlassenden Verurteilten noch nicht eingerechnet. Unsere Staatsanwaltschaften und Strafgerichte sind bereits bis zum Anschlag damit beschäftigt, Straftaten zu verfolgen und entsprechende Verfahren zu verhandeln. Wie sollen die Beschäftigten in dem kurzen Zeitraum zwischen der Verkündung des Gesetzes und dem geplanten Inkrafttreten am 1. April 2024 zigtausende Verfahren auswerten und neue Beschlüsse fassen? Es wird unweigerlich landauf, landab zu rechtswidrigen Zuständen und zu Entschädigungspflichten kommen. Wenn der Bund die Justizbehörden der Länder sehenden Auges in eine solche Situation laufen lässt, zeugt das von einer gehörigen Ignoranz gegenüber den tatsächlichen Gegebenheiten. Im Übrigen schafft die geplante Amnestie neue Ungerechtigkeiten zwischen den Verurteilten: Wer beispielsweise seine Geldstrafe wegen unerlaubten Besitzes von Cannabis bis zu 25 Gramm bereits gezahlt und sich damit rechtstreu gezeigt hat, ist der Gelackmeierte – denn das Geld ist weg. Derjenige Verurteilte dagegen, der sich bislang davor gedrückt hat, die Geldstrafe zu zahlen, oder der sich noch nicht zum Antritt einer Freiheitsstrafe gestellt hat, wird dafür auch noch belohnt – denn dessen Strafe wird nun rückwirkend erlassen. Ist das in einem Rechtsstaat so gewollt?“
Artikel-Informationen
erstellt am:
20.02.2024
Ansprechpartner/in:
Frau Verena Brinkmann
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