Rede der Niedersächsischen Justizministerin Dr. Kathrin Wahlmann zu TOP 25 „Hohes Sicherheitsrisiko durch Geldautomatensprengungen für Anwohner und Einsatzkräfte - Tatanreize durch gesetzliche Vorgabe zum besseren Schutz von Geldautomaten beenden
„Sehr geehrte Frau Präsidentin,
sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete,
die Geldautomatensprengung ist der Bankraub des 21. Jahrhunderts – oder auch der Bankraub 2.0.
Während ein Bankräuber 1.0 in eine Bank geht und – in der Regel unter Vorhalt einer Waffe – Geld fordert – und dabei angesichts der zwangsläufig anwesenden Personen stets das Risiko des Erkannt- oder Entdecktwerdens eingeht, reisen die Täter des Bankraubs 2.0 in der Regel nachts von weither an, betreten nur den Vorraum einer Bankfiliale oder einer anderen Örtlichkeit, in der ein Geldautomat steht, sprengen diesen kurzerhand in die Luft, nehmen das dadurch freigesetzte Bargeld an sich und sind auf und davon – entweder wieder zurück in Richtung Grenze oder auch zum nächsten vorher ausgekundschafteten Geldautomaten.
Die Tat selbst geht in der Regel rasend schnell – oft sind die Täter in weniger als fünf Minuten wieder über alle Berge.
Das hört sich, wenn man es so kurz zusammenfasst, harmlos an. Ist es aber nicht. Im Gegenteil: Diese Taten sind extrem gefährlich, und zwar sowohl für die anliegende Bevölkerung als auch für die möglicherweise eingesetzten Polizeibeamtinnen und -beamten und darüber hinaus auch für unbeteiligte Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmer.
In der Regel haben wir es nicht mit Einzeltätern zu tun, sondern mit hochprofessionell agierenden Tätergruppen aus den Niederlanden.
Die Täter gehen arbeitsteilig vor, die ausführenden Täter sind oft jung, aus prekären Milieus und auf das schnelle Geld aus. Sie sind geschult – wir wissen etwa von einem Trainingscenter in den Niederlanden, in dem die Sprenger an einem im Internet aus Niedersachsen gekauften Geldautomaten das Aufhebeln und Sprengen geübt haben.
Und sie – die Täter – sind überwiegend absolut skrupellos, das haben wir in zahlreichen Fällen immer wieder gesehen.
Schon die Taten selbst sind im wahrsten Sinne des Wortes brandgefährlich.
Oft befinden sich Geldautomaten in kombinierten Wohn-und Geschäftshäusern – und nicht selten kommt es durch die Wucht der Detonation dazu, dass auch die darüber liegenden Wohnungen in Mitleidenschaft gezogen werden.
Bei einem Fall im Westen Niedersachsens, den ich noch im letzten Jahr als Richterin mit verhandelt habe, musste eine Familie, die über der Bankfiliale wohnte, nachts von der Feuerwehr aus dem brennenden Haus gerettet werden; die Nachbarn erlitten eine Rauchvergiftung. Traumatisierung inbegriffen.
Und die Gefährlichkeit der Taten nimmt durch die Verwendung von Festsprengstoffen jetzt noch deutlich zu – auf den Bürgersteig fliegende Trümmerteile sind keine Seltenheit. Die Schäden an den Gebäuden gehen in die Millionenhöhe und überschreiten den Wert der Beute oft bei Weitem.
Zur Flucht nutzen die Täter in aller Regel hochmotorisierte Fahrzeuge; mit Geschwindigkeiten weit über 200 km/h – es wurden beispielsweise in einem Fall per GPS streckenweise 304 km/h (!) gemessen – rasen sie durch unsere Ortschaften, über unsere Landstraßen und unsere Autobahnen – ohne Rücksicht auf Verluste.
Diese Taten sind gefährlich. Und sie haben sowohl in der Anzahl als auch in der Intensität und Gefährlichkeit in den letzten Jahren immer mehr zugenommen.
Mit 68 Sprengungen allein in Niedersachsen haben wir im Jahr 2022 einen alarmierenden Höchststand erreicht.
Aber wir haben dem einiges entgegenzusetzen – und das tun wir auch.
Ebenso, wie die Täter immer rücksichtsloser und skrupelloser geworden sind, haben wir im gleichen Zug die Strafverfolgung enorm verstärkt.
Die niedersächsische Justiz nimmt bei der Verfolgung von Geldautomatensprengungen bundesweit eine Vorreiterrolle ein. Bereits zum 1. Dezember 2022 wurde die landesweite Zentralstelle zur Bekämpfung von Geldausgabeautomatensprengungen bei der Staatsanwaltschaft Osnabrück eingerichtet. Dort sitzt die landesweite Expertise, die dort tätigen Staatsanwältinnen und Staatsanwälte sind bestens mit den Strafverfolgungsbehörden in den Niederlanden vernetzt, kennen die Täterstrukturen und sind – auch dadurch – in der Lage, die Straftaten effektiv zu verfolgen.
Aber die Einrichtung der Zentralstelle ist nicht nur eine organisatorische Entscheidung. Die Zentralisierung ist eine Botschaft an die Täter:
Bis hierher und nicht weiter. Der Rechtsstaat tritt jedem Fall von Geldautomatensprengung entschlossen und konsequent entgegen. Wir ermitteln die Täter. Und sie werden die Härte des Gesetzes zu spüren kriegen.
Die Zentralstelle bei der Staatsanwaltschaft Osnabrück hat gemeinsam mit den Polizeibehörden des Landes bereits in der kurzen Zeit ihres Bestehens geliefert. Es konnten beträchtliche Ermittlungs- und Fahndungserfolge erzielen werden.
Allein 17 Tatverdächtige wurden im Jahr 2023 im Rahmen von Fahndungsmaßnahmen nach Geldautomatensprengungen in Niedersachsen festgenommen. Die Zentrale Kriminalinspektion Lüneburg hat Ende Juni 2023 eine bundesweite Tatserie mit insgesamt 18 Geldautomatensprengungen aufgeklärt.
Mehrere Tatverdächtige konnten in den Niederlanden festgenommen werden. Und nicht nur das: Erste Anklagen und Verurteilungen sind bereits erfolgt – zusätzlich zu denen, die bereits in den vergangenen Jahren durch niedersächsische Gerichte verurteilt wurden.
Dabei läuft die Zusammenarbeit mit der Polizei ganz hervorragend.
Das Landeskriminalamt hat zu Beginn des Jahres 2022 einen 5-Punkte-Plan mit einem ganzheitlichen Bekämpfungsansatz aufgestellt, der erfolgreich umgesetzt wird.
Der Plan beinhaltet unter anderem die ausgeschärfte Analyse, den besseren Informationsaustausch mit den Niederlanden, mit anderen Bundesländern und innerhalb Niedersachsens. Darüber hinaus beinhaltet der Plan eine zentrale Ermittlungsführung und eine zentralisierte Auswertung – beispielsweise von Funkzellendaten –, damit Tat- und Täterzusammenhänge noch schneller identifiziert werden können.
Unsere Maßnahmen zeigen offensichtlich Wirkung.
Wir konnten die besorgniserregende Tendenz jährlich steigender Fallzahlen im Bereich der Sprengung von Geldautomaten in Niedersachen durchbrechen. Im Jahr 2023 ist ein deutlicher Rückgang festzustellen.
In diesem Jahr haben wir mit Stand letzter Woche 21 Taten in Niedersachsen zu verzeichnen. Im gleichen Zeitraum des Vorjahres waren es insgesamt 46 Sprengungen. Dies entspricht einem Rückgang von mehr als 50 %.
Das liegt auch daran, dass den Hintermännern in den Niederlanden weniger junge Männer als Sprenger zur Verfügung stehen – weil Teile der „Stammbelegschaft“ in Deutschland in Haft sitzen und weil sich offenbar auch herumgesprochen hat, dass unsere Strafverfolgungsbehörden sowohl wachsam als auch schnell und konsequent sind.
Im Vergleich mit anderen Bundesländern sieht man dagegen, dass sich die Anzahl der Sprengungen auf Bundesebene noch fast unverändert auf dem Vorjahresniveau befindet. Bundesweit sind im Jahr 2023 bislang 306 Taten zu verzeichnen – im Vergleich zu 311 Taten für den gleichen Zeitraum im Vorjahr. Das ist ein Rückgang von nur etwa 2 %.
Dieser Vergleich zeigt, dass der Rückgang bei uns in Niedersachsen maßgeblich auf die erfolgreichen Maßnahmen der Landesregierung und die ganz hervorragende Arbeit der Staatsanwaltschaft, der Gerichte und der Polizei zurückzuführen ist.
Gleichzeitig muss aber auch gesagt werden, dass 21 Geldautomatensprengungen in diesem Jahr in Niedersachsen genau 21 Taten zu viel sind.
Neben der Strafverfolgung braucht es daher dringend weitere Präventionsmaßnahmen durch die Geldinstitute.
Wir wissen alle, dass das Phänomen der Geldautomatensprengungen durch niederländische Tätergruppen sich insbesondere deshalb von den Niederlanden zu uns nach Deutschland verlagert hat, weil die Banken in den Niederlanden nahezu flächendeckend Farb- und Verklebesysteme einsetzen. Die Täter wissen, dass sich eine Sprengung dort in der Regel nicht lohnt.
Das brauchen wir in Deutschland genauso.
Sowohl die Bundesinnenministerin als auch die Niedersächsische Innenministerin sind seit geraumer Zeit im Gespräch mit den Banken und Sparkassen. Viele von diesen haben die Sicherungsmaßnahmen an den Geldautomaten auch tatsächlich im Laufe der Zeit verbessert und weiter ausgebaut.
Offenbar ist hier aber noch nicht das Ende der Fahnenstange erreicht – und nach meinem Eindruck fehlt es auch noch an einer gemeinsamen Strategie und einer konsequenten Umsetzung in Gestalt einer abgestimmten Vorgehensweise. Hier fordere ich die deutschen Banken und Sparkassen auf, sich auf wirksame, flächendeckende Maßnahmen zu einigen – und diese auch zeitnah umzusetzen, so dass die Täter hier ebenso wie in den Niederlanden wissen: In Deutschland brauchen wir gar nicht erst zu versuchen, einen Geldautomaten zu sprengen; das wird nichts, wir kommen sowieso nicht ans Geld.
Das Bundesinnenministerium wird die bisher schon konkret umgesetzten und geplanten Sicherungsmaßnahmen bis zur Herbstsitzung der Innenministerkonferenz evaluieren.
Wenn dann festgestellt wird, dass die Umsetzung mangelhaft ist, soll das Bundesinnenministerium eine gesetzliche Regelung entwerfen – mit dem Ziel, die Betreiber von Geldautomaten zur Umsetzung von Mindestschutzstandards zu verpflichten.
Sollte auch das nicht zeitnah erfolgen, werden wir sehen, welchen Weg wir dann als Land gehen müssen.
Bis dahin gehen wir aber noch von der Kooperationsbereitschaft der Banken und Sparkassen aus – auch in deren Eigeninteresse.
Sie sehen: Wir gehen mit den dargestellten Maßnahmen in Niedersachsen einen guten und richtigen Weg.
Wir verfolgen die Straftaten konsequent und energisch; unsere Gerichte haben bereits zahlreiche Täter einer gerechten Strafe zugeführt.
Wir werden – im Sinne des Schutzes unserer Bevölkerung – nicht lockerlassen, bis sich bis zum letzten potentiellen Täter herumgesprochen hat: Einen niedersächsischen Geldautomaten zu sprengen, ist gar keine gute Idee.
Und bis das der Fall ist, werden wir den Tätern mit der ganzen Härte des Rechtsstaats entgegentreten.
Vielen Dank!“
Artikel-Informationen
erstellt am:
14.09.2023
Ansprechpartner/in:
Herr Dr. Christoph Sliwka, LL.M.
Nds. Justizministerium
Pressesprecher
Am Waterlooplatz 1
30169 Hannover
Tel: 05111205044