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Rede der Niedersächsischen Justizministerin Dr. Kathrin Wahlmann im Niedersächsischen Landtag zu der Dringlichen Anfrage der Fraktion der AfD „Verwaltungsgerichte am Limit - wie geht die Landesregierung mit vollstreckbar Ausreisepflichtigen um?“

Sitzung des Niedersächsischen Landtages am 8. Februar 2024, TOP 17 a)


Es gilt das gesprochene Wort!

„Sehr geehrte Frau Präsidentin,
Sehr geehrte Damen und Herren,

auch wenn einem aus jeder Zeile entgegenspringt, dass es der AfD bei dieser Anfrage nicht um sachliche Information geht, sondern um zynischen Populismus auf dem Rücken der hoch engagierten Richterinnen, Richter und der weiteren Bediensteten in den niedersächsischen Verwaltungsgerichten, nehme ich die Anfrage zum Anlass, vorab einiges richtigzustellen:

Aktuell – Stichtag 31.12.2023 – haben die Verwaltungsgerichte in Niedersachsen 9.600 Asylverfahren im Bestand. Das ist sicherlich keine Flut, wie die Anfrage es suggerieren soll.

Das gilt umso mehr, als dieser Wert mehr als eine Halbierung gegenüber den Höchstständen 2016/2017 bedeutet – da waren es nämlich noch rund 20.000 Verfahren.

Das zeigt, wie engagiert unsere Richterinnen und Richter schon jetzt diese Verfahren abarbeiten.

Auch die durchschnittliche Dauer der Hauptsacheverfahren in Asylsachen sinkt seit Jahren und liegt aktuell nicht mehr bei 24, sondern bei 21,8 Monaten. Das ist gegenüber einem Wert von mehr als 28 Monaten noch im Jahr 2022 eine ganz klare Verbesserung.

Damit ist Niedersachsen im Übrigen auch keineswegs Schlusslicht, sondern das entspricht genau dem Durchschnitt aller Länder, wie das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ihn zum 31.07.2023 ermittelt hat.

Ich empfinde es dabei als schlechten Stil, einzelne andere Länder an den Pranger zu stellen.

Deshalb werde ich das hier auch nicht tun.

Fakt ist aber, dass es Länder mit Laufzeiten von 32 und von 39,9 Monaten gibt – das sind ganz andere Dimensionen als bei uns.

Dass die durchschnittliche Laufzeit noch so hoch ist, liegt zudem gerade daran, dass die Altbestände so entschlossen abgebaut werden.

Wenn heute ein Verfahren aus dem Jahr 2020 erledigt wird, dann schlägt das natürlich in die Statistik mit einer Laufzeit von mehr als 36 Monaten und hebt den Schnitt.

Aber in Wahrheit ist es genau das, was wir wollen, nämlich die noch verbliebenen Bestände abbauen.

Neu eingehende Verfahren werden nach Auskunft der Verwaltungsgerichte schon jetzt deutlich schneller erledigt als in 21,8 Monaten.

Die Laufzeit von 21,8 Monaten betrifft zudem nur Hauptsacheverfahren.

Viele Sachen, bei denen klar kein Anspruch auf Asyl in Deutschland besteht, gelangen aber häufig gar nicht ins Hauptsacheverfahren, sondern die bleien im vorläufigen Rechtsschutz.

Und in solchen Verfahren gelingt es unseren Verwaltungsgerichten seit Jahren, in nur einem Monat zu einer abschließenden Entscheidung zu kommen.

Das vorausgeschickt beantworte ich die Fragen wie folgt:

Erste Frage: „Frau Ministerin Wahlmann ist Vorsitzende der Justizministerkonferenz. Wird die Landesregierung diese Funktion nutzen, um sich beim Bund für Gesetzesänderungen einzusetzen, damit die Möglichkeit, bereits erledigte Asylverfahren neu anzustreben, unterbunden wird?“

Erstens. Das verwaltungsrechtliche Asylverfahren fällt nicht in die Zuständigkeit der Justizministerkonferenz, sondern der Innenministerkonferenz.

Zweitens: In den Fachkonferenzen kann jedes Land, unabhängig vom Vorsitz, Vorschläge zur Beratung stellen.

Drittens will ich einiges klarstellen, was die Möglichkeit zur Stellung von Folgeanträgen in Asylverfahren betrifft, also erneuten Anträgen von Personen, deren Antrag zurückgenommen oder bestandskräftig abgelehnt wurde.

Um zunächst einen wichtigen rechtsstaatlichen Grundsatz in Erinnerung zu rufen:

Verwaltungsakte erwachsen in Deutschland in Rechts- oder Bestandskraft.

Eine erneute Prüfung desselben Sachverhalts findet dann grundsätzlich nicht mehr statt.

Nur in wenigen gesetzlich geregelten Fällen kann ein abgeschlossenes Verwaltungsverfahren wieder aufgegriffen werden, etwa dann, wenn sich die Sach- und Rechtslage zugunsten des Betroffenen geändert hat. Das schafft Rechtssicherheit für alle Beteiligten.

Dieser Grundsatz der Bestandskraft gilt auch für Entscheidungen über Asylanträge.

Das heißt: Wurde ein Asylantrag abgelehnt, kann man schon jetzt einen neuen Asylantrag grundsätzlich nicht auf Sachverhalte stützen, die schon in diesem Antrag behandelt wurden.

Folgeanträge unterliegen also, um es klar zu sagen, einer zweitstufigen Prüfung.

Zunächst wird geprüft, ob überhaupt einer der eng umgrenzten Fälle vorliegt, bei denen ein Wiederaufgreifen in Frage kommt.

Nur dann, wenn das ausnahmsweise der Fall ist, erfolgt eine erneute inhaltliche Prüfung.

Und nur dann erhalten im Übrigen die Antragsteller für die Dauer der erneuten Prüfung auch weiterhin eine Duldung.

Das ist im Übrigen europarechtlich so vorgegeben.

Kommen wir zur Frage 2: Wird die Landesregierung sich beim Bund für entsprechende Gesetzesänderungen einsetzen, damit es nicht mehr möglich ist, neue Asylverfahren aus anderen Gründen durchzuführen?

Kurz und knapp: Ja.

Die Konferenz der Innenministerinnen und Innenminister der Länder hat bei ihrer Sitzung im Dezember 2023 einen von Niedersachsen eingebrachten Beschlussvorschlag zur Beschleunigung von Asylverfahren angenommen.

Darin wird das Bundesinnenministerium um Prüfung gebeten, welche Maßnahmen zur beschleunigten Bearbeitung von Asylfolgeanträgen in Betracht kommen und ob eine generelle gesetzliche Beschränkung der pro Person gestellten Anzahl an Asylfolgeanträgen – mit Ausnahmen für atypische Fälle – rechtlich möglich ist.

Die Ergebnisse dieser Prüfung werden wir in den kommenden Monaten sehen.

Ich will aber auch deutlich machen, dass Niedersachsen in enger Abstimmung mit den anderen Ländern und dem Bund noch sehr viel mehr tut, um Asylverfahren weiter zu beschleunigen.

Am 06.11.2023 haben die Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder und des Bundes unter federführender Beteiligung unseres Ministerpräsidenten Stephan Weil einen umfangreichen Beschluss zur Flüchtlingspolitik gefasst.

Für Asylverfahren für Antragsteller aus Staaten, bei denen die Anerkennungsquote weniger als fünf Prozent beträgt, sollen beschleunigte Asylverfahren ermöglicht werden.

Die klare Zielmarke lautet: Das Asylverfahren und das anschließende Gerichtsverfahren sollen in diesen Fällen jeweils in drei Monaten abgeschlossen werden.

In allen anderen Fällen, also bei Staaten mit höherer Anerkennungsquote, lautet die Zielmarke jeweils sechs Monate.

Bund und Länder werden zur Erreichung dieser Ziele wo nötig bei der personellen und organisatorischen Ausstattung der Behörden und Gerichte aufrüsten.

Der Bund prüft zudem aktuell, ob auch eine Änderung rechtlicher Vorschriften sinnvoll ist.

Sollte das der Fall sein, werden Bund und Länder die nötigen Änderungen zügig umsetzen.

Mit dem jüngst beschlossenen Gesetz zur Verbesserung der Rückführung hat die Bundesregierung schließlich konkrete Gesetzesänderungen auf den Weg gebracht, die speziell auch Folgeanträge betreffen.

Antragsteller, die einen missbräuchlichen oder wiederholten Folgeantrag stellen, können damit künftig noch schneller abgeschoben werden.

Im Kern können unbegründete Folgeanträge künftig ausdrücklich als offensichtlich unbegründet abgelehnt werden.

In solchen Fällen genügt dann künftig bereits die Mitteilung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, dass keine erneute inhaltliche Prüfung erfolgt, um eine Abschiebung zu ermöglichen.

Außerdem wird selbst bei Durchführung eines erneuten Asylverfahrens eine mögliche Abschiebehaft nicht mehr automatisch beendet. Die Niedersächsische Landesregierung hat diese Gesetzesinitiative klar begrüßt und ihr im Bundesrat zugestimmt.

Sie sehen also, meine Damen und Herren, Bund und Länder meinen es ernst mit der Verbesserung der Asylverfahren und der Abschiebepraxis.

Nun zur Frage 3: „Warum hat die Landesregierung bis jetzt noch keine wirksamen Maßnahmen ergriffen, um einen derartigen Verfahrensstau zu stoppen?“

Die Landesregierung und die niedersächsische Verwaltungsgerichtsbarkeit tun bereits sehr viel, um gerichtliche Asylverfahren möglichst effizient und zügig zu gestalten, ohne die Rechtsstaatlichkeit aus den Augen zu verlieren.

Die Kammern und Senate der Verwaltungsgerichte und des Oberverwaltungsgerichts bearbeiten Asylsachen nach Herkunftsländern bei einzelnen Kammern bzw. Senaten konzentriert.

Eine entsprechende Konzentration gibt es in der Regel auch bei sog. Dublin-Verfahren und Drittstaatenfällen, in denen dem Antragsteller die Abschiebung in einen sicheren Drittstaat oder in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat droht.

Eine am OVG Lüneburg eingerichtete Asylrecherchestelle unterstützt die Richterinnen und Richter darüber hinaus bei der Durchdringung des Materials zur Situation in einzelnen Herkunftsländern.

Personell werden wir die Verwaltungsgerichte in diesem Jahr noch einmal massiv stärken.

Der Haushalt 2024 sieht 15 weitere Richterstellen an den Verwaltungsgerichten vor.

Das ist im Vergleich zu den bisher knapp 200 Richterstellen eine massive Verstärkung.

Ausdrücklich sieht der Haushalt vor, dass diese Stellen „zur Forcierung des Bestandsabbaus mit dem Ziel, die Bearbeitungsdauer in Asylverfahren insgesamt zu beschleunigen“ genutzt werden sollen.

Zusätzlich ist mit dem Haushalt 2024 beschlossen worden, 22 befristete Stellen an den Verwaltungsgerichten, die bisher in den kommenden Jahren ausgelaufen wären, bis zum Ende des Jahrzehnts zu verlängern. Das ist ein weiterer wichtiger Schritt, um Planungssicherheit für die Gerichte zu schaffen und den weiteren zügigen Abbau der noch vorhandenen Bestände sicherzustellen.

Das ist aber noch nicht alles.

Wir werden auch organisatorische Maßnahmen ergreifen.

Dazu wird die Landesregierung Asylverfahren von Antragstellern aus Ländern mit einer geringen Anerkennungsquote – unter 5 Prozent – landesweit an einzelnen Gerichten konzentrieren.

Das Justizministerium befindet sich dazu in enger Abstimmung mit der Verwaltungsgerichtsbarkeit.

Und schließlich setzt sich die Landesregierung auf Bundesebene intensiv für Gesetzesänderungen zur Beschleunigung asylgerichtlicher Verfahren ein:

Auf einen erfolgreichen Antrag Niedersachsens im Rechtsausschuss hat der Bundesrat darum gebeten, den Gerichten einen automatisierten Zugriff auf das Ausländerzentralregister zu eröffnen, der deutlich weiter geht als heute.

Die Verwaltungsgerichte sollen dadurch noch schneller an die Daten gelangen, die sie für die Bearbeitung von asyl- und ausländerrechtlichen Verfahren brauchen.

Die Bundesregierung hat signalisiert, dass sie dem Anliegen positiv gegenübersteht.

Zusätzlich bereitet die Landesregierung aktuell eine Bundesratsinitiative zur Änderung des Asylgesetzes vor.

Damit soll es den Verwaltungsgerichten erleichtert werden, Leitentscheidungen der Obergerichte herbeizuführen.

Das schafft Rechtssicherheit für andere, ähnlich gelagerte Verfahren und beschleunigt diese damit.

Zudem sollen an den Oberverwaltungsgerichten Berufungszulassungsverfahren durch den Einzelrichter anstelle des Senats bearbeitet werden können.

Kurz gesagt: Wir handeln. Anders als die Fragesteller von der AfD ergötzen wir uns nämlich nicht jahrelang an der Betrachtung von Problemen. Wir lösen sie.

Vielen Dank.“

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Artikel-Informationen

erstellt am:
08.02.2024

Ansprechpartner/in:
Herr Dr. Marcel Holthusen

Nds. Justizministerium
Pressesprecher
Am Waterlooplatz 1
30169 Hannover
Tel: 05111205043

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