Rede der Niedersächsischen Justizministerin Dr. Kathrin Wahlmann im Bundesrat zu TOP 18 „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuchs – Verbesserung des Schutzes vor sexueller Belästigung“
Sitzung des Bundesrates am 14. Februar 2025
Es gilt das gesprochene Wort!
meine sehr geehrten Damen und Herren,
unabhängig davon, wie die Entscheidung über unseren Gesetzentwurf gleich ausgeht: Schon die Diskussion darüber hat gezeigt, dass er bitter nötig ist.
Es geht um die – erhebliche – verbale und nonverbale sexuelle Belästigung – insbesondere von Frauen und Mädchen.
Es geht darum, dass es in unserer gleichberechtigten Gesellschaft nicht gebilligt sein kann, wenn ein 63jähriger Mann ein ihm unbekanntes Mädchen auf offener Straße auffordert: „Komm mal mit, ich will dir an die M… fassen“. Dass dieser Mann nur zwei Tage später eine ihm unbekannte Frau anspricht und zweimal (!) sagt: „Ich will dich f...“
Das „Punkt, Punkt, Punkt“ ist von mir – aus Rücksicht auf das Hohe Haus.
Der betreffende Mann hat diese Worte selbstverständlich im Klartext gesagt.
Das ist verabscheuungswürdig, das ist beängstigend und es verletzt die Intimsphäre der betroffenen Frauen und Mädchen.
Aber – ich hatte es im November bereits berichtet: Diese Äußerungen unterfallen nach der Auffassung des Bundesgerichtshofes nicht dem Tatbestand der Beleidigung – und im Übrigen auch keinem anderen Straftatbestand.
Mit anderen Worten: Hätte der Mann zu dem elfjährigen Mädchen oder der erwachsenen Frau etwa „dumme Kuh“ gesagt, hätte er sich wegen Beleidigung strafbar gemacht.
Die Aufforderung an ein unbekanntes elfjähriges Mädchen „Komm mal mit, ich will dir an die M… fassen“ ist hingegen nicht strafbar.
Ich weiß nicht, wer von Ihnen Kinder oder Enkelkinder in diesem Alter hat – oder sich daran erinnert, wie es war, ein Kind zu sein. Aber eine solche Aufforderung durch einen wildfremden älteren Mann wirkt auf so ziemlich jedes Kind äußerst beängstigend und verstörend.
Und – auch das ist nonverbale sexuelle Belästigung – auch erwachsene Frauen empfinden es als extrem beängstigend, von einer Horde von Männern umzingelt und mit Kopulationsbewegungen und -geräuschen bedrängt zu werden. Auch dann, wenn es nicht zu einem körperlichen Übergriff kommt, sind solche Vorfälle extrem belastend und führen bei den Betroffenen zu Gefühlen von Ekel, Scham und Angst.
Wenn man dann allen Ernstes hört, das sei doch ein Kompliment, dann macht einen das schier fassungslos – und ehrlich gesagt auch wütend – ob einer solchen Verhöhnung der Opfer.
Und dann sind es die Opfer, die ihre Lebensführung ändern – die bestimmte Orte nicht mehr aufsuchen, die abends nicht mehr rausgehen, die bestimmte Kleidungsstücke nicht mehr anziehen – und nicht die Täter.
Aber: Das ist falsch. Unsere Gesellschaft muss ganz klar auf der Seite der Opfer stehen – nicht auf der Seite der Täter.
Sexuelle Belästigung jeglicher Art ist absolut verwerflich und gehört im Deutschland des Jahres 2025 ab einer bestimmten Erheblichkeitsschwelle schlicht und einfach verboten.
In der Beratung dieses Gesetzentwurfes habe ich mittelbar von Menschen, die Einfluss auf diese Abstimmung haben, gehört: „Wir können Eurer Initiative zur verbalen sexuellen Belästigung nicht zustimmen; das geht zu weit. Dann würde man sich ja bei jedem Kneipenbesuch strafbar machen.“
Ich muss sagen: Das ist eine der unfassbarsten Äußerungen, die mir als Justizministerin untergekommen ist.
Wenn Männer in Verantwortung, die diesen Gesetzentwurf mit beraten, offenbar regelrecht damit planen, bei normalen Kneipenbesuchen Frauen so massiv verbal oder nonverbal sexuell zu belästigen, dass die Erheblichkeitsschwelle, die der Gesetzentwurf vorsieht, überschritten ist, dann kann ich nur sagen: Genau für Leute wie Euch ist dieser Gesetzentwurf vorgesehen.
Bei Beleidigungen habt Ihr kein Problem damit, Euch zurückzuhalten – sexuelle Belästigungen würdet Ihr aber gerne straffrei weitermachen?!
Ich kann Ihnen sagen: In der gleichberechtigten Gesellschaft, die unser Grundgesetz, das wir alle miteinander im letzten Jahr gefeiert haben, ist kein Platz für sexuelle Belästigungen jeglicher Art.
Es ist gut, dass wir diesen Gesetzentwurf eingebracht haben.
Es ist gut, dass wir ihn zweimal hier beraten.
Und es wäre noch besser, wenn wir ihn gleich beschließen würden.
Nun haben wir gestern Abend festgestellt, dass Schleswig-Holstein einen Plenarantrag für den Fall stellt, dass der Bundesrat beschließt, den Gesetzentwurf nicht einzubringen.
Ungeachtet der – ich will es mal freundlich formulieren – unkollegialen Vorgehensweise freut uns das sehr.
Wir entnehmen dem, dass die unionsgeführten Länder unserem niedersächsischen Vorschlag eigentlich zustimmen möchten, sich aus wahlkampftaktischen Gründen aber nicht dazu in der Lage sehen.
Sei es drum: Uns – dem Land Niedersachsen – geht es hier nicht um Wahlkampf, sondern um die Sache.
Wir stehen an der Seite der betroffenen Frauen und Mädchen.
Und wenn Sie das auch tun, dann sind Sie herzlich eingeladen, gemeinsam mit uns aktiv zu werden.
Unser Gesetzentwurf ist der Maßstab.
Dem recht dünnen, aber in der Sache richtigen Plenarantrag sind wir der guten Sache – des Schutzes der Frauen und Mädchen – wegen beigetreten.
Ich bitte Sie um Zustimmung.
Danke."
Artikel-Informationen
erstellt am:
14.02.2025
zuletzt aktualisiert am:
17.02.2025
Ansprechpartner/in:
Frau Verena Brinkmann
Nds. Justizministerium
Pressesprecherin
Am Waterlooplatz 1
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