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Hand in Hand für einen modernen Zivilprozess

Bundesweit erstes Reallabor zum Zivilprozess / Die niedersächsische Justizministerin Dr. Kathrin Wahlmann und der bayerische Justizminister Georg Eisenreich erhalten Abschlussbericht zum Forschungsprojekt „Digitaler Parteivortrag im Basisdokument“


Wie lassen sich neue Ideen zum Zivilprozess der Zukunft im Rahmen der derzeit geltenden Rechtslage erproben? Wie gelingt die Einbeziehung aller am Verfahren Beteiligten in den Entwicklungsprozess? Und wie lässt sich schlussendlich ein wissenschaftlich belastbares Ergebnis erzielen? Vor diesen und weiteren Fragen stand die gemeinsame Projektgruppe „Digitaler Parteivortrag im Basisdokument“ des Niedersächsischen Justizministeriums und des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz zu Beginn ihrer Arbeit im Jahr 2022.

Die Lösung: Ein Reallabor, in dem Vertreterinnen und Vertreter von Gerichten, der Anwaltschaft und Entwicklung begleitet von der Wissenschaft Möglichkeiten der digitalen Aufbereitung des Parteivortrags im Zivilprozess testen.

Nun haben Prof. Dr. Christoph Althammer (Universität Regensburg - Lehrstuhl für Verfahrensrecht) und Prof. Dr. Christian Wolff (Universität Regensburg - Lehrstuhl für Medieninformatik) den Abschlussbericht des gemeinsamen Reallabors vorgelegt. Niedersachsens Justizministerin Dr. Kathrin Wahlmann nahm ihn entgegen.

In dem Reallabor haben vier Landgerichte in Niedersachsen und Bayern (Hannover, Landshut, Osnabrück und Regensburg) seit Frühjahr 2023 mit realen Gerichtsverfahren erprobt, in welcher konkreten Ausgestaltung und in welchen Fällen sich die Arbeit mit einem sogenannten Basisdokument als digitale Aufbereitung des Prozessstoffs für die Prozessbeteiligten – Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte, Richterinnen und Richter, Parteien – als vorteilhaft erweist. Das Basisdokument bündelt den gesamten Parteivortrag in maschinell verarbeitbarer Form. Die Parteien können dort jeweils vortragen, ergänzen und Beweismittel verknüpfen, so dass sich aus ihm stets der aktuelle Streitstoff ergibt.

Der Abschlussbericht zum Reallabor beruht auf einer projektbegleitenden qualitativen Evaluation, die sich auf etwa 50 strukturierte Interviews von teilnehmenden Richterinnen und Richtern und Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten, sowie auf die Auswertung von Fragebögen stützt.

Die Berichtsverfasser stellten fest, dass Anwältinnen und Anwälte sowie Richterinnen und Richter insbesondere die Gestaltungsfreiheit begrüßten. Interviewte hätten positiv hervorgehoben, dass die erprobte Gestaltung des Basisdokuments keine Beschränkung des Vortrags vorsieht. Die Befragten nannten insbesondere die Erleichterung von Bezugnahmen, die Möglichkeit, richterliche Hinweise präzise zu erteilen, die Vermeidung von Wiederholungen und die leichtere Einarbeitung in laufende Verfahren als Vorteile der digitalen Aufbereitung. Die Befürchtungen, dass das Konzept negativ in die anwaltliche Bearbeitungsroutine eingreife oder die Mandantenkommunikation beeinträchtige, hätten sich nicht bestätigt. Statt der teilweise befürchteten Beschränkung der Anwaltstaktik hätten zahlreiche Befragte die Verfahrenstransparenz begrüßt.

Wünsche nach einer technischen Anbindung der Anwendung an Anwaltssoftware und dem erleichterten Austausch der Daten zwischen Anwaltschaft und Gericht, der unter dem geltenden Recht nicht möglich war, können bei einer Umsetzung der Idee realisiert werden.

Die Ergebnisse des Gutachtens werden nunmehr in die Arbeiten der durch Beschluss des Bundesministers der Justiz und der Justizministerinnen und -minister der Länder eingesetzten Kommission zum Zivilprozess der Zukunft einfließen.

Niedersachsens Justizministerin Dr. Kathrin Wahlmann: „Das Reallabor zum digitalen Parteivortrag im Basisdokument ist ein Musterbeispiel dafür, wie Richterschaft und Anwaltschaft gemeinsam an der Vision eines Zivilprozesses der Zukunft arbeiten können. Bemerkenswert ist, wie die Projektgruppe es geschafft hat, reale digitale Innovationen innerhalb des aktuell noch geltenden Rechtsrahmens im Echtbetrieb einzusetzen. Ein solches Vorgehen erfordert viel Kreativität und Mut und kann damit als Vorbild auch für zukünftige Projekte zur weiteren Digitalisierung der Justiz dienen. Um den Zugang zum Recht für alle Bürgerinnen und Bürger zu erleichtern und die Attraktivität der Justiz weiter zu stärken, ist es mir ein wichtiges Anliegen, die Modernisierung des Zivilprozesses und dessen Anpassung an die digitale Realität auch in Zukunft entschlossen voranzutreiben. Der Abschlussbericht des Reallabors liefert hierzu wichtige Erkenntnisse.“

Bayerns Staatsminister der Justiz Georg Eisenreich: „Das bundesweit erste Reallabor zum Zivilprozess ist erfolgreich abgeschlossen und kann ein wichtiger Baustein für den Zivilprozess der Zukunft sein. Es hat eindrucksvoll das Potential digitaler Lösungen unter anderem für die mit Dieselverfahren, Fluggastklagen und zahlreichen weiteren Massenverfahren stark belasteten Zivilgerichte gezeigt. Das getestete Basisdokument macht den Zivilprozess auch für Anwältinnen und Anwälte transparenter und effektiver und hilft, Zeit und Ressourcen zu sparen. Das entwickelte Basisdokument war ein Projekt von Praktikern für Praktiker. Es soll erprobt werden, in welchen Fällen und in welcher Ausgestaltung Vorgaben für die Strukturierung des Parteivortrags Vorteile für das Verfahren und die Prozessbeteiligten bringen können. Ich möchte mich herzlich bei allen Beteiligten für ihren Einsatz bedanken. Der bestehende gesetzliche Rahmen ist allerdings viel zu oft ein Hemmschuh und muss durch den Bund an vielen Stellen modernisiert werden. Nur mit einer Modernisierung des Zivilprozesses kann man das Potential der Digitalisierung nutzen.“

Hintergrund:

Die Teilnahme an der Erprobung war für Richterinnen und Richter und Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte freiwillig. Sie erfolgte anhand eines Prototypen, der nach den Methoden des User Centered Design vom Lehrstuhl für Medieninformatik, Prof. Dr. Wolff, entwickelt wurde. Die Erprobung wurde am 30. Juni 2024 abgeschlossen. Während des Projektes hat die Projektgruppe den Erprobungsgegenstand weiterentwickelt und präzisiert. Im Vordergrund der praktischen Erprobung stand nicht die Strukturierung des Parteivortrags im Sinne von Vorgaben für Inhalt oder Reihenfolge des Vorbringens. Vielmehr konzentrierte sich das Projekt auf dessen digitale Aufbereitung, also eine wirkliche Digitalisierung der Verfahrenskommunikation. Der Einsatz des Basisdokuments im Projekt war daher nicht mit bestimmten Strukturierungspflichten verknüpft. Den Parteien sollte vielmehr ein Werkzeug an die Hand gegeben werden, mit digitalen Mitteln ihren Vortrag übersichtlich darzustellen, sinnvoll zu gliedern und zu dem gegnerischen Vorbringen in Bezug zu setzen. Der Einsatz des Basisdokuments erleichtert es so den Parteien, ihren Standpunkt gegenüber dem Gericht präzise darzulegen.

Nähere Informationen zum Reallabor finden Sie unter www.parteivortrag.de.

Den Abschlussbericht können Sie hier abrufen.
v. l. Prof. Dr. Christoph Althammer (Universität Regensburg), Justizministerin Dr. Kathrin Wahlmann, Prof. Dr. Christian Wolff (Universität Regensburg)   Bildrechte: MJ
v. l. Prof. Dr. Christoph Althammer (Universität Regensburg), Justizministerin Dr. Kathrin Wahlmann, Prof. Dr. Christian Wolff (Universität Regensburg)
Schmuckgrafik   Bildrechte: MJ

Artikel-Informationen

erstellt am:
29.07.2024

Ansprechpartner/in:
Herr Dr. Marcel Holthusen

Nds. Justizministerium
Pressesprecher
Am Waterlooplatz 1
30169 Hannover
Tel: 05111205043

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