Gelten Schutz der Person und Grundsatz der Verhältnismäßigkeit auch für die Ermittlungen gegen Landesbedienstete?
Rede der Niedersächsischen Justizministerin Antje Niewisch-Lennartz in der Sitzung des Niedersächsischen Landtages am 26.06.2014 TOP 18 b) Dringliche Anfrage betr.: Anfrage der Fraktion der FDP (LT-Drs. 17/1652)
Die Landesregierung achtet die verfassungsrechtlichen Informationsansprüche der Abgeordneten des Niedersächsischen Landtags. Sie achtet ebenso die verfassungsrechtlichen Auskunftsansprüche der Presse. Die Landesregierung ist zu jeder Zeit bestrebt, im Rahmen des rechtlich Zulässigen umfassend zu informieren. Dabei berücksichtigt sie in jedem Verfahrensstadium insbesondere die schutzwürdigen Interessen Privater.
Das trifft auch zu für das anhängige Ermittlungsverfahren gegen den Präsidenten der Niedersächsischen Landesschulbehörde.
Die Staatsanwaltschaft Lüneburg hat am 17. Januar 2014 gegen den Präsidenten der Landesschulbehörde ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Untreue zum Nachteil des Landes Niedersachsen aufgrund von Privatfahrten mit einem Dienstkraftfahrzeug eingeleitet.
Anlass war der Hinweis eines Kraftfahrers der Polizei, der am 16. Januar 2014 dem Leiter des 3. Fachkommissariats der Zentralen Kriminalinspektion Lüneburg mitteilte, er habe von einem anderen bei der Polizei tätigen Kraftfahrer erfahren, dass sich der in Hildesheim oder Umgebung wohnende Leiter der Landesschulbehörde häufig von seinem Fahrer mit dem Dienstkraftfahrzeug zu Hause abholen, nach Lüneburg bringen und später wieder nach Hause fahren lasse. Der Fahrer des Leiters der Landesschulbehörde soll im Zusammenhang mit solchen Fahrten angeblich auch in Hildesheim oder Umgebung übernachtet haben.
Am 7. Mai 2014 fand eine Durchsuchung der Diensträume des Beschuldigten statt.
Am Nachmittag des 8. Mai 2014 hat Frau Kultusministerin Heiligenstadt dem Kultusausschuss des Niedersächsischen Landtags eine Unterrichtung über eine Personalie angeboten und um Unterrichtung in vertraulicher Sitzung gebeten. Frau Kultusministerin Heiligenstadt versicherte sich vor der Unterrichtung über das Justizministerium auch, dass eine Bekanntgabe des Beschuldigten gegenüber dem Kultusausschuss die Ermittlungen nicht gefährden würde. Dies konnte das Justizministerium nach Rücksprache mit der ermittlungsführenden Staatsanwaltschaft Lüneburg bestätigen.
Entsprechend dem Wunsch von Frau Ministerin Heiligenstadt fand die Unterrichtung in der Sitzung des Kultusausschusses am darauffolgenden 9. Mai 2014 um 10:30 Uhr unter TOP 1 der zwischenzeitlich geänderten Tagesordnung in vertraulicher Sitzung statt.
Seit dem frühen Vormittag des 9. Mai 2014 bestätigte die Pressestelle der ermittlungsführenden Staatsanwaltschaft in Ausübung der presserechtlich bestehenden Informationspflicht gegenüber Pressevertretern auf Anfrage, dass gegen den Präsidenten der Landesschulbehörde ein Ermittlungsverfahren geführt werde, und nannte dazu den Tatvorwurf. Die Durchsuchung vom 7. Mai 2014 war der Presse bekannt geworden, weil die Landesschulbehörde in einem Dienstgebäude untergebracht ist, in dem zahlreiche weitere Behörden ihren Sitz haben. Dies wiederum bedeutet nicht unerheblichen Publikumsverkehr.
Die Staatsanwaltschaft hat über diese Auskunftserteilung zunächst den Pressesprecher des Justizministeriums und sodann den Verteidiger des Beschuldigten informiert und auf dessen Wunsch weitere Medienvertreter an diesen verwiesen.
Zeitgleich mit der am 9. Mai 2014 um 10:30 Uhr beginnenden Unterrichtung des Kultusausschusses durch Frau Ministerin Heiligenstadt fand die Landespressekonferenz statt.
Auf Nachfrage von Seiten der dort anwesenden Vertreter der Presse bestätigte der Sprecher des Justizministeriums ebenfalls, dass gegen den Präsidenten der Landesschulbehörde ein Verfahren im Zusammenhang mit der mutmaßlich unbefugten Nutzung eines Dienstwagens anhängig sei. Im Übrigen verwies der Pressesprecher im Hinblick auf das laufende Ermittlungsverfahren an die Pressestelle der Staatsanwaltschaft.
Frau Kultusministerin Heiligenstadt setzte nach der Unterrichtung des Kultusausschusses ebenfalls die Öffentlichkeit von dem Verfahren in Kenntnis, nachdem sich der Anwalt des Beschuldigten bereits gegenüber der Landespresse eingelassen hatte.
Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Dringliche Anfrage wie folgt:
Zu Frage 1:
Zur Klärung des allein auf Angaben vom Hörensagen beruhenden und deshalb noch sehr vagen Anfangsverdachts ist zunächst das Niedersächsische Kultusministerium unter dem 17. Januar 2014 um Auskunft gebeten worden, ob dem Beschuldigten möglicherweise regelmäßige Fahrten zwischen Wohnung und Dienststätte auf der Grundlage der Richtlinie über Dienstkraftfahrzeuge in der Landesverwaltung (Kfz-Richtlinie) genehmigt wurden.
Unter dem 24. Februar 2014 verneinte das Kultusministerium die Frage. Daraufhin beauftragte die Staatsanwaltschaft die Polizeidirektion Hannover mit der weiteren Abklärung des Anfangsverdachts. Nach polizeilicher Zusammenstellung erster Erkenntnisse zum Wohnort des Beschuldigten und zu dem von ihm genutzten Fahrzeug ordnete das Amtsgericht Lüneburg am 10. März 2014 auf Antrag der Staatsanwaltschaft für die Dauer von 6 Wochen die längerfristige Observation des Beschuldigten an und gestattete dazu zugleich den Einsatz technischer Mittel.
Der bestehende Anfangsverdacht konnte im Rahmen einer Observationsmaßnahme erhärtet werden. In der Folgezeit erfolgten weitere Observationen des Beschuldigten an mehreren Tagen.
Zur Durchführung der Observation selbst und dem Einsatz technischer Mittel können wegen des laufenden Ermittlungsverfahrens keine Angaben gemacht werden. Bei Bedarf könnte eine entsprechende Unterrichtung in einem Ausschuss des Niedersächsischen Landtages erfolgen.
Auf der Grundlage der den Anfangsverdacht bestätigenden Observationsergebnisse beantragte die Staatsanwaltschaft am 15. April 2014 beim Amtsgericht Lüneburg neben einer Verlängerung der Observationsmaßnahme zum Zweck der Auffindung von Schriftverkehr und E-Mails zu Dienstreisen und Abrechnungen den Erlass von fünf Durchsuchungsbeschlüssen betreffend
• seine Wohnung in Hildesheim sowie seinen Arbeitsplatz in der Landesschulbehörde in Lüneburg,
• das mutmaßlich vom Fahrer genutzte Hotel in Hildesheim,
• die Oberfinanzdirektion Hannover - Landesamt für Bezüge und Versorgung -,
• die Landesschulbehörde in Lüneburg und
• das IT.Niedersachsen, den zentralen IT-Dienstleister der Niedersächsischen Landesverwaltung.
Das Amtsgericht hat die Beschlüsse am 16. April 2014 erlassen und am 5. bzw. 6 Mai 2014 wegen eines Schreibfehlers hinsichtlich des Geburtsdatums des Beschuldigten berichtigt. Die Vollstreckung der Durchsuchungsbeschlüsse erfolgte am 7. Mai 2014 mit Ausnahme der das IT.Niedersachsen betreffenden Anordnung, die aufgrund bis dahin erlangter Erkenntnisse entbehrlich geworden war.
Im Anschluss an die Durchsuchungen sind Zeugen vernommen worden. Die Auswertung der bei den Durchsuchungen sichergestellten Unterlagen dauert an.
Bei der Staatsanwaltschaft war und ist mit den Ermittlungen ein Dezernent befasst. Auf Seiten der Polizei führen zwei Beamte die Ermittlungen. Im Rahmen der Durchsuchungsmaßnahmen an diversen Orten waren insgesamt 31 Polizeivollzugsbeamtinnen und -beamte eingesetzt, dies u. a. zur Koordinierung, der Durchführung der Durchsuchungsmaßnahmen selbst und zur Datensicherung. Da, wie bereits ausgeführt, zur Durchführung der Observationsmaßnahmen Angaben nicht möglich sind, können zum diesbezüglichen Personaleinsatz keine Angaben gemacht werden. Hier kann ich abermals eine Ausschussunterrichtung anbieten.
Zu Frage 2:
Die Staatsanwaltschaft hat zur Klärung des Anfangsverdachtes - ich habe es bereits dargelegt - zunächst das Niedersächsische Kultusministerium gebeten mitzuteilen, ob der Beschuldigte den Dienstwagen möglicherweise erlaubtermaßen für Privatfahrten zwischen Wohnung und Dienststätte nutzt.
Operative strafprozessuale Maßnahmen sollten erst ergriffen werden, nachdem hinreichend sicher ausgeschlossen werden konnte, dass eine Privatnutzung gestattet ist.
Die während des Ermittlungsverfahrens durchgeführten Observationen und Durchsuchungsmaßnahmen sind jeweils auf Anordnung des zuständigen Ermittlungsrichters bei dem Amtsgericht in Lüneburg erfolgt. Dieser hat die Verhältnismäßigkeit der Ermittlungsmaßnahmen nicht in Frage gestellt. Aufgrund der verfassungsrechtlich gewährleisteten Unabhängigkeit der Rechtsprechung ist die Landesregierung gehindert, eigene Erwägungen zur Frage der Verhältnismäßigkeit anzustellen und die richterlichen Entschließungen zu kommentieren.
Zu Frage 3:
Nach Auffassung der Landesregierung haben sowohl die Niedersächsische Kultusministerin Heiligenstadt als auch die Pressesprecher der Staatsanwaltschaft und des Justizministeriums zum jeweiligen Zeitpunkt der Entscheidungen das private Interesse des Beschuldigten an der Geheimhaltung des Ermittlungsverfahrens angemessen gewichtet. Im Übrigen verweise ich auf meine Vorbemerkung.
Artikel-Informationen
erstellt am:
26.06.2014