Antwort auf Mündliche Anfrage: Europäischer Haftbefehl - justizielle Zusammenarbeit zwischen den europäischen Mitgliedstaaten
Sitzung des Niedersächsischen Landtages am 13.12.2013, Mündliche Anfrage (TOP 65)
Antwort auf Mündliche Anfrage: Europäischer Haftbefehl - justizielle Zusammenarbeit zwischen den europäischen Mitgliedstaaten
Die Justizministerin Antje Niewisch-Lennartz beantwortet namens der Landesregierung die Mündliche Anfrage der Abgeordneten Dr. Marco Genthe, Dr. Stefan Birkner, Jan-Christoph Oetjen (FDP):
Die Abgeordneten hatten gefragt:
Das Antifolterkomitee des Europarates hat am 6. November 2013 seinen Jahresbericht in Straßburg vorgestellt. Das Komitee hat die Haftbedingungen in europäischen Gefängnissen moniert. Bei unangekündigten Besuchen wurden gravierende Mängel festgestellt (FAZ vom 6. November 2013).
Aufgrund des europäischen Haftbefehls müssen die EU-Mitgliedstaaten auch einige Staatsangehörige an andere Mitgliedstaaten ausliefern und dürfen die Auslieferung nicht aufgrund abweichender menschenrechtlicher Standards verweigern.
Wir fragen die Landesregierung:
1. Wie viele Menschen wurden seit Einführung des europäischen Haftbefehls von Niedersachsen aus an andere europäische Strafverfolgungsbehörden ausgeliefert (bitte nach Geschlecht und Auslieferungsland aufschlüsseln)?
2. Wie bewertet die Justizministerin die justizielle Zusammenarbeit mit den verschiedenen europäischen Mitgliedsstaaten nach dem Bekanntwerden der Missstände in den Justizvollzugsanstalten (aufgeschlüsselt nach den einzelnen Mitgliedstaaten)?
3. Welche Konsequenzen beabsichtigt die Justizministerin aufgrund der neuesten Veröffentlichungen des Antifolterkomitees des Europarates zu ziehen?
Ministerin Niewisch-Lennartz beantwortet die Anfrage im Namen der Landesregierung wie folgt:
Am 06.11.2013 hat das European Committee for the Prevention of Torture and Inhuman or Degrading Treatment or Punishment (CPT) des Europarates seinen Jahresbericht 2012/2013 vorgestellt. Der Bericht fasst die achtzehn Einzelberichte des Überwachungszeitraums zusammen, wobei sieben besonders hervorgehoben werden. Fünf dieser Länderberichte betreffen Mitgliedstaaten der Europäischen Union, von denen sich wiederum vier mit der Haftsituation in jeweils ein oder zwei von der Kommission besuchten Haftanstalten befassen. Dabei sind Mängel in einer belgischen, einer maltesischen sowie in zwei bulgarischen Haftanstalten festgestellt worden. Außerdem wird Kritik am spanischen „Incommunicado“-Haftsystem geäußert. Hinzu kommen Berichte über bekannt gewordene Einzelfälle von Misshandlungen an Gefangenen in einzelnen dieser Staaten.
Verstöße gegen die internationalen Mindestanforderungen an Haftbedingungen im Untersuchungshaft- und Strafvollzug, wie sie sich aus den Empfehlungen des Europarates und der Vereinten Nationen ergeben, sind dem Jahresbericht ebenso wenig zu entnehmen wie Hinweise auf systematische Folter oder Misshandlung. Stattdessen werden die konkreten Bemühungen der betroffenen Länder um Abhilfe referiert.
Dies vorangeschickt, beantworte ich die Mündliche Anfrage im Namen der Landesregierung wie folgt:
Zu Frage 1.:
Der Landesregierung ist nicht bekannt, wie viele Personen seit Einführung des Europäischen Haftbefehls aus Niedersachsen an andere Mitgliedstaaten der Europäischen Union ausgeliefert worden sind. Eine besondere Auslieferungsstatistik wird in Niedersachsen nicht geführt. Die Statistik des Bundes differenziert hingegen weder nach Bundesländern noch nach der Art des Auslieferungsersuchens. Die erbetenen Auskünfte ließen sich daher nur auf der Grundlage einer manuellen Auswertung aller seit der innerstaatlichen Umsetzung des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (RB-EUHb) durch das Gesetz vom 21. Juli 2004 angelegten Auslieferungsvorgänge erteilen. Dies wäre jedoch mit einem Aufwand verbunden, der zur Beantwortung einer Mündlichen Anfrage nicht geleistet werden kann.
Zu Frage 2.:
Die Landesregierung beurteilt die grenzüberschreitende justizielle Zusammenarbeit mit den anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union vor dem Hintergrund des aktuellen CPT-Berichts nicht wesentlich anderes als zuvor.
Die Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten der Europäischen Union vollzieht sich auf der Grundlage der bestehenden Rechtsakte der Europäischen Union, des Europarates, der Vereinten Nationen und bilateraler Verträge sowie innerstaatlicher deutscher Bestimmungen, namentlich des Gesetzes über die Internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG). Danach kommt eine Auslieferung regelmäßig nicht in Betracht, wenn auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalles damit gerechnet werden muss, dass diese gegen wesentliche Grundsätze des Völkerrechts oder der deutschen Rechtsordnung verstoßen würde.
In diesem Zusammenhang sind auch die Verhältnisse im Strafvollzug zu berücksichtigen. In Literatur und Rechtsprechung ist dabei allerdings anerkannt, dass selbst deutlich unter den deutschen Verhältnissen zurückbleibende Standards im Strafvollzug grundsätzlich nicht zu einem Auslieferungs- oder Vollstreckungshilfeverbot führen.
Diese Schwelle ist vielmehr erst dann erreicht, wenn die internationalen Mindestanforderungen, wie sie sich aus den Empfehlungen des Europarates und der Vereinten Nationen ergeben, nicht eingehalten werden.
Auch unmenschliche Behandlung im Vollzug kann die Auslieferung oder Vollstreckungshilfe hindern. In diesem Fall müssen jedoch begründete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass diese konkret zu befürchten sind.
In beiden Fällen wird außerdem zusätzlich gefordert, dass sich das Auslieferungs- oder Vollstreckungshilfehindernis nicht durch Maßnahmen und entsprechende Zusicherungen des anderen Staates beseitigen lässt.
Dies gilt im Verhältnis zu EU-Mitgliedstaaten in derselben Weise, wie gegenüber Drittstaaten. Zwar sind die Möglichkeiten zur Versagung der Unterstützung zwischen EU-Staaten im Geltungsbereich der auf dem Maßnahmenprogramm zur Implementierung des Grundsatzes gegenseitiger Anerkennung beruhenden Rechtsakte wie des RB-EUHb grundsätzlich auf die darin genannten Fallgruppen reduziert. Gleichwohl sind die zuständigen deutschen Behörden und Gerichte nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. StraFo 2009, 458 [460]) und der ihm folgenden Literatur und Rechtsprechung (vgl. Hackner in: Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 5. Aufl., § 78 IRG Rn. 14 m.w.N.) auch hier verpflichtet, grundrechtlich geschützte Positionen Betroffener zu schützen und bei Verletzung derer die Auslieferung zu versagen.
Ob danach ein Auslieferungshindernis anzunehmen ist, muss unter Berücksichtigung aller feststellbaren Umstände des Einzelfalles beurteilt werden. Dabei sind sowohl behördliche Erkenntnisse als auch Informationen internationaler Einrichtungen oder von Nichtregierungsorganisationen heranzuziehen. In diesem Zusammenhang sind gegebenenfalls auch Berichte des European Committee for the Prevention of Torture and Inhuman or Degrading Treatment or Punishment zu würdigen.
Zu Frage 3.:
Keine.
Dem CPT-Bericht 2012/2013 ist zwar zu entnehmen, dass in einzelnen Mitgliedstaaten der Europäischen Union Verbesserungsbedarf hinsichtlich der vollzuglichen Standards und im Umgang mit Gefangenen besteht, dem diese bereits Rechnung zu tragen bestrebt sind. Es ist jedoch nicht zu erkennen, dass die dortigen Verhältnisse hinter den maßgeblichen international anerkannten Mindestanforderungen zurück bleiben oder es zu systematischen Verletzungen der körperlichen Integrität Inhaftierter käme.
Sollten sich im Einzelfall gegenteilige Anhaltspunkte ergeben, wird dies im Rahmen der nach § 10 IRG i.V.m. § 78 und § 79 IRG vorzunehmenden Entscheidung des Oberlandesgerichts über die Zulässigkeit der Auslieferung zu prüfen und gegebenenfalls auch zu berücksichtigen sein. Hierauf hat auch die Bewilligungsbehörde zu achten.
Handlungsbedarf für die Niedersächsische Landesregierung besteht nach alledem nicht.Artikel-Informationen
erstellt am:
13.12.2013
Ansprechpartner/in:
Herr Alexander Wiemerslage
Nds. Justizministerium
Pressesprecher
Am Waterlooplatz 1
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