Antwort auf Mündliche Anfrage: „Das Instrument der Funkzellenabfragen und ‚stillen SMS‘ in Niedersachsen“
Sitzung des Niedersächsischen Landtages am 24.01.2014, Mündliche Anfrage
Die Justizministerin Antje Niewisch-Lennartz beantwortet namens der Landesregierung die Mündliche Anfrage der Abgeordneten Jan-Christoph Oetjen, Dr. Marco Genthe, Dr. Stefan Birkner, Gabriela König und Almuth von Below-Neufeldt (FDP)
Die Abgeordneten hatten gefragt:
Zur Bekämpfung von schwerer Kriminalität können die Ermittlungsbehörden nach der Strafprozessordnung bei den entsprechenden Netzanbietern die Kommunikationsinhalten bestimmter Funkzellen abfragen und auswerten. Hierzu können die Ermittlungsbehörden eine sogenannte stille SMS versenden, um den Standort zu ermitteln. In der Vergangenheit wurde keine Statistik zur Erfassung der Verwendung von Funkzellenabfragen und stillen SMS geführt, was von rot-grünen Politikern kritisiert wurde.
Es werden allerdings Bedenken geäußert, dass die aktuelle Ausgestaltung der Rechtsgrundlagen dem Datenschutz beteiligter Dritter nicht genüge und die Eingriffsschwellen für die Anordnung derartiger Maßnahmen nicht präzise genug sei.
Die Sächsische Staatsregierung hat im September 2011 einen Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung der nichtindividualisierten Verkehrsdatenerhebung (Drs. 532/11) in den Bundesrat eingebracht. Der Gesetzesentwurf wurde den zuständigen Fachausschüssen des Bundesrates zur Beratung überwiesen. Die sächsische Gesetzesinitiative sieht u. a. eine Präzisierung der unbestimmten Rechtsbegriffe vor. Weiterhin sollen die Erhebungsbefugnis für Verkehrsdaten auf das für die Strafverfolgung unabdingbar erforderliche Maß beschränkt und die Rechte unbeteiligter Dritter besser geschützt werden.
Wir fragen die Landesregierung:
1. Wie oft wurde das Instrument der Funkzellenabfragen und stillen SMS im Jahr 2013 genutzt?
2. Sollten hierzu keine Zahlen vorliegen, plant die Landesregierung die Einführung einer gesonderten Statistik?
3. Wie ist der Stand der sächsischen Bundesratsinitiative, und wie wird sich die Landesregierung dazu positionieren?
Ministerin Niewisch-Lennartz beantwortet die Anfrage im Namen der Landesregierung wie folgt:
Mit der Funkzellenabfrage werden seitens der Strafverfolgungsbehörden Daten abgefragt, die durch Anbieter von Telekommunikationsdienstleistungen erhoben und gespeichert werden. Die Funkzellenabfrage, die sich nicht auf Kommunikationsinhalte, sondern auf Verkehrsdaten bezieht, ist gemäß § 100g Abs. 2 S. 2 StPO nur zulässig bei Straftaten von erheblicher Bedeutung und nur dann, wenn die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes des Beschuldigten auf andere Weise aussichtslos wäre und die Datenerhebung in einem angemessenen Verhältnis zur Bedeutung der Sache steht. Die Abfrage muss die Telekommunikation räumlich und zeitlich hinreichend bestimmt bezeichnen, sich also auf eine bestimmte geographische oder postalische Adresse (und die dort befindliche Funkzelle) für einen konkreten Zeitraum (Datum, Uhrzeit) beziehen. Die Funkzellenabfrage bedarf der richterlichen Anordnung (§ 100g Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 100b Abs. 1 Satz 1 - 3 StPO). Die Anordnung muss schriftlich ergehen und mit Gründen versehen sein. In den Gründen ist dazulegen, welchem Zweck die Maßnahme dient (Sachverhaltserforschung oder Aufenthaltsermittlung), welche Straftat in Rede steht und warum es sich bei dieser um eine Straftat von „erheblicher Bedeutung“ handelt, die ohne die Maßnahme nicht oder nur wesentlich erschwert aufgeklärt werden kann. Die Anordnung muss ferner verhältnismäßig sein. In Fällen, in denen im Zeitpunkt der Anordnung eine Vielzahl von nicht individualisierten Personen betroffen wird und nicht sicher ist, ob und wie viele dieser Personen überhaupt in Beziehung zu der Tat stehen, ist von entscheidender Bedeutung, dass die Anordnung auf eine hinreichend gesicherte Tatsachenbasis gestützt ist und die Anordnungsvoraussetzungen sorgfältig geprüft und darlegt werden. Dem Umstand, dass von der Auskunft eine erhebliche Anzahl unbeteiligter Dritter betroffen sein kann, ist dadurch Rechnung zu tragen, dass die Anforderungen, die an die Bestimmtheit der räumlichen und zeitlichen Bestimmung in der Auskunftsanordnung zu stellen sind, je nach der Schwere der Straftat und der Anzahl der möglicherweise betroffenen unbeteiligten Dritten zu bemessen sind.
Das Versenden von „stillen SMS“ steht als Maßnahme im Zusammenhang mit einer Anordnung der Telekommunikationsüberwachung nach § 100a StPO ebenfalls unter Richtervorbehalt. Nur bei Gefahr im Verzug dürfen die Anordnungen zu Funkzellenabfragen und zum Versenden von „stillen SMS“ durch die Staatsanwaltschaft getroffen werden.
Mit der in der Anfrage genannten sächsischen Gesetzesinitiative soll die Funkzellenabfrage zur besseren Wahrung der Rechte unbeteiligter Dritter beschränkt werden. Nach dem Entwurf soll eine Funkzellenabfrage nur noch bei Straftaten aus dem Katalog des § 100a Abs. 2 StPO sowie bei solchen mit einer Mindeststrafe von sechs Monaten Freiheitsstrafe und bei Berücksichtigung von Verhältnismäßigkeitserwägungen, die nunmehr im Gesetz besonders hervorgehoben werden sollen, möglich sein. Ferner sollen eine statistische Erfassung der Funkzellenabfragen sowie eine Unterrichtungspflicht des Datenschutzbeauftragten durch die Staatsanwaltschaft nach Beendigung der Maßnahme und bei Absehen von der Benachrichtigung eingeführt werden.
Der Antrag des Freistaates Sachsen zum Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung der nichtindividualisierten Verkehrsdatenerhebung (BR-Drs. 532/11) wurde am 23. September 2011 in den Bundesrat eingebracht und am selben Tag dem Rechtsausschuss (federführend), dem Ausschuss für Innere Angelegenheiten sowie dem Wirtschaftsausschuss zur Beratung zugewiesen. In seiner Sitzung am 25. Januar 2012 hat der federführende Rechtsausschuss des Bundesrates beschlossen, die Beratung der Vorlage bis zum Wiederaufruf durch das antragstellende Land zu vertagen. Die weiteren beteiligten Ausschüsse haben ebenfalls Vertagung beschlossen. Ein Wiederaufruf ist bisher nicht erfolgt.
Statistische justizielle Erhebungen zu den Ermittlungsinstrumenten der Funkzellenabfrage und den „stillen SMS“ sind in der Strafprozessordnung nicht vorgesehen. Statistisch erfasst werden die angeordneten Maßnahmen zur Überwachung der Telekommunikation nach § 100a StPO und die angeordneten Maßnahmen zur Erhebung von Verkehrsdaten nach § 100g Abs. 1 StPO. Darüber hinaus gehende Daten werden nicht erhoben. Der Statistik zu den Anordnungen nach § 100a StPO kann z. B. die Anzahl der erfolgten Überwachung von Mobilfunktelekommunikation entnommen werden, nicht aber die Anzahl der im Zusammenhang mit der Überwachung der Mobilfunktelekommunikation erfolgten „stillen SMS“.
Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Anfrage im Namen der Landesregierung wie folgt:
Zu 1.:
Gesonderte Statistiken zur Häufigkeit der Anwendung von Funkzellenabfragen (§ 100g Abs. 2, S. 2 StPO) und stillen SMS (bei Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen gemäß § 100a StPO) werden nicht geführt. Über die Anzahl der im Jahr 2013 durchgeführten Funkzellenabfragen und stillen SMS können daher keine Angaben gemacht werden.
Zu 2.:
Die Landesregierung wird die Frage der Einführung einer gesonderten Statistik sorgfältig prüfen. Die Meinungsbildung hierzu ist innerhalb der Landesregierung noch nicht abgeschlossen.
Zu 3.:
Siehe Vorbemerkung. Erst bei Wiederaufruf und nach den Beratungen in den Fachausschüssen des Bundesrates wird sich die Landesregierung nach sorgfältiger Prüfung der Vorschläge zu Änderungen der Strafprozessordnung zu dieser Gesetzesinitiative positionieren. Aussagen insbesondere zum zukünftigen Abstimmungsverhalten im Bundesrat können derzeit noch nicht getroffen werden.
Artikel-Informationen
erstellt am:
24.01.2014
Ansprechpartner/in:
Herr Alexander Wiemerslage
Nds. Justizministerium
Pressesprecher
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