Antwort auf Mündliche Anfrage: „Kleine Amtsgerichte auf der Kippe?“
Sitzung des Niedersächsischen Landtages am 29.08.2013, Mündliche Anfrage (TOP 11)
Die Justizministerin Antje Niewisch-Lennartz beantwortet namens der Landesregierung die Mündliche Anfrage des Abgeordneten Uwe Schwarz (SPD)
Der Abgeordnete hatte gefragt:
Unter der alten CDU/FDP-Landesregierung wurde seit Jahren die Vergrößerung der Amtsgerichtsbereiche diskutiert. Entsprechende Strukturveränderungen hat es bei der Vorgängerregierung auch schon bei den kleinen Justizvollzugsanstalten gegeben. Im Zuge dieser Neuordnung wurde der Standort Bad Gandersheim geschlossen. Das Amtsgericht befindet sich auf dem gleichen Gelände wie die ehemalige Anstalt, dem Gebäude des ehemaligen Bad Gandersheimer Wasserschlosses. Des Weiteren hat die Fusion der Stadt Einbeck und der Gemeinde Kreiensen zum 1. Januar dieses Jahres zu einem verminderten Einzugsbereich des Amtsgerichtes in Bad Gandersheim geführt. Dieses alles hat erneut eine öffentliche Debatte über den Fortbestand der Amtsgerichte in Bad Gandersheim, aber auch in Einbeck ausgelöst.
Ich frage die Landesregierung:
1. Gibt es aktuelle Überlegungen, die Gebietszuständigkeiten von Amtsgerichten in Niedersachsen neu zu ordnen?
2. Gibt es unabhängig davon konkrete Planungen hinsichtlich des Fortbestandes der Amtsgerichte Bad Gandersheim und Einbeck, insbesondere im Zusammenhang mit in absehbarer Zeit bevorstehenden Pensionierungen von Richtern?
3. Wie viele Beschäftigte gibt es derzeit in den Amtsgerichten Einbeck und Bad Gandersheim?
Ministerin Niewisch-Lennartz beantwortet die Anfrage im Namen der Landesregierung wie folgt:
Es ist ein besonderes Anliegen der Landesregierung, dass die Bürgerinnen und Bürger überall im Land einen effektiven Zugang zur Justiz in erreichbarer Nähe haben. Die Landesregierung bekennt sich deshalb zu dem ausdrücklich in die Koalitionsvereinbarung aufgenommenen Ziel einer dauerhaften Verankerung der Justiz in der Fläche.
Soweit der Niedersächsische Landesrechnungshof in seinem Jahresbericht 2013 zur Haushalts- und Wirtschaftsführung (LT-Drs. 17/191) eine Prüfung dahin empfiehlt, kleine Amtsgerichte aus wirtschaftlichen und arbeitsökonomischen Gründen zusammenzulegen (ebd., S. 13, 114), orientiert er sich an einem Beschäftigungsvolumen von weniger als 30 Vollzeiteinheiten. Darunter würden zurzeit folgende 23 Amtsgerichte fallen (in alphabetischer Reihenfolge): Alfeld (Leine), Bad Gandersheim, Brake (Unterweser), Bremervörde, Burgdorf, Clausthal-Zellerfeld, Diepholz, Duderstadt, Einbeck, Elze, Hann. Münden, Herzberg am Harz, Nordenham, Osterode am Harz, Otterndorf, Rinteln, Seesen, Springe, Stolzenau, Sulingen, Varel, Wildeshausen und Zeven.
Die Landesregierung selbst kategorisiert die Gerichte in Niedersachsen nicht nach ihrer Größe. Sie lässt sich bei Standortfragen auch nicht allein von ökonomischen Gesichtspunkten leiten. Entscheidender Richtwert für den Bestand eines Gerichts ist vielmehr, ob der auf Basis des auf mathematisch-analytischer Grundlage beruhenden, bundesweit angewandten und auch von den Rechnungshöfen der Länder vom Grundsatz her anerkannten Personalberechnungssystems PEBB§Y ermittelte Personalbedarf an diesem Gericht ohne wesentliche Über- oder Unterkapazitäten und mit vertretbarem Organisationsaufwand zur Verfügung gestellt werden kann.
In arbeitsökonomischer Hinsicht verkennt die Landesregierung nicht, dass aufgrund der - zu Recht mit Verfassungsrang (Art. 97 Abs. 2 GG) ausgestatteten - Unversetzbarkeit der Richterinnen und Richter eine kleinteilige Gerichtsstruktur die flexible und gerechte Verteilung der richterlichen Arbeitskraft erschweren kann. Auf der anderen Seite verlangt der - verfassungsrechtlich ebenso garantierte (Art. 19 Abs. 4 GG) - Justizgewährungsanspruch, dass den Bürgerinnen und Bürgern erreichbare Möglichkeiten zur Verfügung gestellt werden, ihre Rechte wahrzunehmen. Je weiter dabei der Weg zu den Gerichten wird, desto mehr wird dieser Weg als notwendiges Übel empfunden, um berechtigte Interessen durchzusetzen. Kurze Wege zu den Gerichten verwirklichen Bürgernähe nicht nur im wörtlichen, sondern auch im übertragenen Sinne und sorgen dafür, dass die Justiz nahe bei den Bürgerinnen und Bürgern und ihren Interessen und Befindlichkeiten ist. Die Nähe zum Wohnort erleichtert es interessierten Bürgerinnen und Bürgern auch, als Zuhörer an Gerichtsverhandlungen teilzunehmen. Hierdurch werden juristische Entscheidungsprozesse öffentlich und transparent, das Vertrauen in die Justiz gestärkt.
Die Menschen begegnen an „ihrem“ Amtsgericht nicht nur Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die mit den örtlichen Verhältnissen bestens vertraut sind. Sie profitieren dort auch von einer gut funktionierenden Kommunikation der Gerichte mit den Behörden vor Ort und mit den Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten, die sich ganz bewusst bei diesem Gericht niedergelassen haben. Auf diese Weise sind an den Amtsgerichtsstandorten für jedermann leicht erreichbare, wertvolle „Netzwerke des Rechts“ entstanden.
Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Fragen im Namen der Landesregierung wie folgt:
1. Die Landesregierung plant keine Neuordnung der Amtsgerichtsbezirke. Es gibt derzeit auch keine konkreten Pläne über die Auflösung einzelner Amtsgerichtsstandorte. Die Landesregierung will vielmehr die historisch gewachsene und in der Praxis bewährte Gerichtsstruktur in Niedersachsen als Garant für einen gleichen, erreichbaren und effektiven Zugang der Bürgerinnen und Bürger zur Justiz erhalten.
2. Auch für die Standorte Bad Gandersheim und Einbeck gilt, dass es derzeit keine konkreten Planungen über die Auflösung der dortigen Amtsgerichte gibt. Das innerhalb der Landesregierung zuständige Justizministerium achtet stets darauf, dass an allen Amtsgerichtsstandorten der nach PEBB§Y errechnete Personalbedarf vernünftig abgebildet werden kann und dadurch auch eine gleichbleibend hohe Qualität der Rechtspflege gewährleistet ist. Dabei behält es die sich ändernden Rahmenbedingungen, insbesondere den demografischen Wandel, die kommunalen Gebietsreformen sowie die zunehmende Spezialisierung der Rechtsprechung und der Fachverfahren im Blick und prüft - in enger Abstimmung mit den Beteiligten vor Ort - fortlaufend, welche Schlüsse daraus für die Justizlandschaft zu ziehen sind. Diese Prüfung ergibt derzeit für keines der 80 Amtsgerichte in Niedersachsen einen Handlungsbedarf für strukturelle Veränderungen. Dem Amtsgericht Bad Gandersheim kommt allerdings als mit Abstand kleinstem Amtsgericht in Niedersachsen eine Sonderrolle zu. Die weitere Entwicklung wird hier deshalb in besonderer Weise zu beobachten sein.
3. Zum 30.06.2013 waren beim Amtsgericht Bad Gandersheim ohne Personal in Ausbildung 13 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit einem jahresdurchschnittlichen Beschäftigungsvolumen von 10,25 Arbeitskraftanteilen und beim Amtsgericht Einbeck 26 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit einem jahresdurchschnittlichen Beschäftigungsvolumen von 20,74 Arbeitskraftanteilen tätig.
Artikel-Informationen
erstellt am:
30.08.2013
Ansprechpartner/in:
Herr Alexander Wiemerslage
Nds. Justizministerium
Pressesprecher
Am Waterlooplatz 1
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